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Die Geschichte der Wirtschafts­geschichte

Ob an der Handels­hochschule, Wirtschafts­hochschule oder Universität: Wirtschafts­geschichte hat im Mannheimer Hochschul­leben eine Tradition, die bis in das Jahr 1905 zurückreicht. Noch ehe die Mannheimer Handels­hochschule im Jahr 1907 gegründet worden war, fanden in den abendlichen Handels­hochschul­kursen, die zur Fortbildung der berufstätigen Kaufmannschaft aus Stadt und Umland dienten und die als Vorläuferinstitution der Hochschule angesehen werden können, wirtschafts­geschichtliche Lehr­veranstaltungen statt. Das Fach hat sämtliche Brüche der wechselvollen Mannheimer Hochschul­geschichte überstanden und ist auch auf besondere Weise mit der Geschichte ihres Gründers verbunden...

  • Die frühen Jahre

    Erster Fach­vertreter der damals noch jungen Disziplin war Prof. Dr. Eberhard Gothein (1853-1923), Ordinarius für Volkswirtschaft und Finanz­wissenschaft an der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität. Gothein, der sowohl Nationalökonom als auch Historiker war, wirkte als einer der wichtigsten Organisatoren beim Aufbau der städtischen Handels­hochschule mit, und maß dem Fach Wirtschafts­geschichte (das zunächst als „Handels­geschichte“ in den Vorlesungs­verzeichnissen zu finden  war) von Anbeginn höchste Bedeutung bei. So hatte er bereits in einer im Frühjahr 1905 an das großherzoglich-badische Kultus­ministerium gerichteten Denkschrift dessen Notwendigkeit  betont. Dementsprechend verankerte er das Fach per Satzung im Lehr­programm. Gotheins Vorlesungen und Übungen handelten u.a. von der Kolonialgeschichte sowie der Mannheimer Industrie- und Handels­geschichte; daneben las er zu volkswirtschaft­lichen, regional- und kulturgeschichtlichen Themen. Neben Gothein, der sich der Handels­geschichte der neueren und neuesten Zeit annahm, unterrichtete in diesen frühen Jahren Prof. Dr. Franz Kohlhepp (1858-1934) antike und mittelalterliche Handels­geschichte. Darüber hinaus gab es weitere Dozenten, die sich angrenzenden Gebieten annahmen, so etwa der Wirtschafts­geographie, der Bevölkerungs- und Wirtschafts­statistik oder der Dogmengeschichte der Ökonomie.

    Nach Emeritierung Eberhard Gotheins im Sommer 1923 folgte zunächst eine einjährige Interimszeit. In diesen beiden Semestern wurden wirtschafts­historische Themen in den Vorlesungen von Prof. Dr. Walter Tuckermann (1888-1950), dem Ordinarius für Wirtschafts­geographie und späteren Mannheimer Rektor nur mitbetreut. Doch bereits im Frühjahr 1924 fand sich mit dem Privatdozenten Dr. Max Springer (1877-1953) ein geeigneter Nachfolger Gotheins. Von diesem Zeitpunkt an war Wirtschafts­geschichte wieder ein fest etablierter Bestandteil des Lehr­programmes. In seinen Vorlesungen behandelte Springer Fragen der jüngeren deutschen und europäischen Wirtschafts­geschichte, wandte sich aber auch allgemeingeschichtlichen Themen zu, vor allem aus der deutsch-französischen Perspektive.

  • Vor und nach dem Krieg

    Springer, seit Ende März 1931 außerordentlicher Professor, wurde im Zuge der Durchführung des „Berufsbeamtengesetzes“ vom April 1933 als „Nicht-Arier“ entlassen und war später gezwungen zu emigrieren. Damit hatte das Fach in Mannheim seinen Fach­vertreter verloren und wurde bis zur bald folgenden Auflösung der Mannheimer Hochschule nicht mehr gelehrt.

    Als die Hochschule im Oktober 1946 wiedergegründet wurde, jetzt unter dem Namen „Staatliche Wirtschafts­hochschule Mannheim“, knüpfte man bewußt an das Lehr­angebot der ehemaligen Handels­hochschule an. Bereits ab dem ersten Semester, d.h. ab dem Winter 1946/47, betreute Dr. Max Ernst Graf zu Solms-Roedelheim (1910-1993) im Rahmen eines Lehr­auftrages für zunächst fünf Semester das Fach. Nachdem zu Solms die Hochschule verlassen hatte, fand sich in dem Volkswirt Dr. Hans Georg Schachtschabel (1914-1993)  rasch ein Nachfolger, der zwar primär für Volkswirtschafts­lehre zuständig war, aber auch Wirtschafts­geschichte und Dogmengeschichte las.

  • Die 1950er und -60er Jahre

    Eine wegweisende Aufwertung des Faches in Mannheim erfolgte in der Mitte der 50er Jahre, als man mit dem Schweizer Hektor Ammann (1894-1967) einen genuinen Wirtschafts­historiker gewinnen konnte. Mit ihm erfolgte die eigentliche Anknüpfung an die Vorkriegstradition. Ammann war ab dem Sommersemester 1955 in Mannheim, wo er zunächst einen Lehr­auftrag für Wirtschafts­geschichte innehatte. Bereits wenige Monate später wurde er zum Honorarprofessor ernannt, Anfang 1956 das Wirtschafts­historische Institut gegründet. Das Themenspektrum Ammanns reichte von der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtschafts­geschichte bis hin zur Neuzeit. Ein starker Akzent lag zudem auf der Berücksichtigung des Mannheimer Wirtschafts­raumes. Ammanns Vorlesungen gliederten sich in einem mehrsemestrigen Turnus und wurden durch Spezialvorlesungen und Übungen ergänzt. Nachdem intensive Bemühungen der Hochschul­leitung zur Errichtung eines wirtschafts­historischen Lehr­stuhls, die vom baden-württembergischen Kultus­minister Wilhelm Simpfendörfer (1888-1973) lebhaft unterstützt wurden, vergeblich geblieben waren, wechselte Ammann bereits im Herbst 1958 an die Universität Saarbrücken. Zwar hielt er noch bis in den Sommer 1960 hinein Vorlesungen in Mannheim und betreute Diplomarbeiten, danach aber stand er nicht mehr für die Wirtschafts­hochschule zur Verfügung.

    Ammanns Fortgang konnte jedoch recht zügig kompensiert werden, da sich für das Fach infolge einer veränderten Hochschul­politik neue Perspektiven eröffneten. Gemäß den Empfehlungen des Wissenschafts­rats, der sich seinerseits an einer von Knut Borchardt verfaßten DFG-Denkschrift orientierte, wurde der Mannheimer Wirtschafts­hochschule – wie auch sämtlichen anderen bundes­deutschen Hochschulen mit wirtschafts­wissenschaft­lichen Fakultäten – ausdrücklich ein Ordinariat für Wirtschafts- und Sozialgeschichte empfohlen.

    Erster Inhaber des schließlich im Jahre 1962 neu geschaffenen Lehr­stuhles für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Volkswirtschafts­lehre wurde Prof. Dr. Knut Borchardt (geb. 1929), der zu einem der führenden Vertreter der Wirtschafts­geschichte avancieren sollte. Die Veranstaltungs­themen Borchardts handelten vornehmlich von der deutschen und europäischen Wirtschafts­geschichte seit dem 18. Jahrhundert, Daneben war Privatdozent Dr. Bernhard Kirchgässner (1923-2007)  für die Vorlesungen und Übungen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtschafts­geschichte zuständig.

    Während des Um- und Ausbaus der Wirtschafts­hochschule zur Universität, der 1967 abgeschlossen war, entschied man sich dazu, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte in ihrem angestammten Verband der Volkswirtschafts­lehre (wo sie seit Anbeginn war) zu belassen und die Geschichte in ihrer klassischen Gliederung in Alte, Mittlere und Neuere Geschichte als selbständiges Fach  (zunächst in der Fakultät für Geschichte und Geographie, später in der Philosophischen Fakultät) aufzubauen. Darüber hinaus wird seither die Zeitgeschichte in Symbiose mit der Politik­wissenschaft (in der Fakultät für Sozial­wissenschaften) gelehrt. Diese Aufteilung wurde bis heute beibehalten.

  • Die „Interimszeit“

    Nach dem Wechsel Borchardts an die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität im Jahre 1969 erfolgte zunächst eine Interimszeit ohne wirtschafts- und sozialhistorisches Ordinariat. Zwar wurden die Lehr­veranstaltungen von Bernhard Kirchgässner weitergeführt, aber erst nach der Ablehnung eines Rufes an die Universität Salzburg wurde Kirchgässner schließlich im Oktober 1973 Ordinarius für den wiedererrichteten Lehr­stuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, den er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 innehatte.

  • Von den 1990er Jahren bis heute

    Im Jahre 1991 folgte der Borchardt-Schüler Prof. Dr. Christoph Buchheim als Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Schnell erwarb er sich einen internationalen Ruf als renommierter Wirtschafts­historiker, unter anderem in der Industrialisierungs­forschung, der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wirtschafts­wachstum, Entwicklung und Globalisierung sowie der deutschen Wirtschafts­geschichte im Nationalsozialismus und der frühen Nachkriegszeit. Neben seiner Forschungs­tätigkeit wurde er als engagierter Hochschul­lehrer sehr geschätzt, der fakultäts­übergreifende Veranstaltungen mit großer Resonanz abhielt. Im Senat wie auch als Dekan der Fakultät für Volkswirtschafts­lehre engagierte er sich für deren erfolgreiche Weiter­entwicklung. Neben seiner Funktion als Direktor des Historischen Instituts der Universität Mannheim war sein Wirken u.a. als Vorsitzender des Wirtschafts­historischen Ausschusses des Vereins für Socialpolitik und als Mitherausgeber der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschafts­geschichte allgemein sehr anerkannt. Prof. Dr. Christoph Buchheim starb am 28. Dezember 2009 im Alter von nur 55 Jahren in Folge einer schweren Erkrankung.  Eine ausführliche Würdigung von Prof. Dr. Knut Borchardt findet sich im Jahrbuch für Wirtschafts­geschichte (2/2010, S.223–225).

    Seit September 2011 lehrt und forscht Prof. Dr. Jochen Streb im Fach Wirtschafts­geschichte.